Vom Bahnhof Grunewald aus fuhren die ersten Deportationszüge der Deutschen Bahn in die Lager Auschwitz und Theresienstadt. Wer sich von außerhalb des Bahnhofs dem Mahnmal Gleis 17 nähert, sieht als erstes das Denkmal des Künstlers Karol Broniatowski. An der Mauer des Bahnhofs sind Hohlformen von Menschen zu sehen, die wie Schatten wirken. Dieses Kunstwerk entstand 1991 und erinnert an die langen Wege und Märsche zu den Deportationsbahnhöfen. In Berlin gab es drei Bahnhöfe, von denen aus Juden in Lager deportiert wurden: der Anhalter Bahnhof, der Güterbahnhof Moabit und Grunewald.
Leere Gleise und wenig Informationen
Als Erstes fällt am Mahnmal Gleis 17 die Leere auf: Ein Gleis mit Bahnsteigen und ein Gleisbett auf dem sich an der einen Seite Bäume und Büsche ihren Raum nehmen. Dass die Pflanzen und Bäume hier ungehindert wachsen, liegt im Sinne der Architekten, die das Denkmal entwarfen. Es verdeutlicht, dass hier nie wieder Züge fahren oder Deportationen durchgeführt werden.
An der Mauer des Bahnsteigs befindet sich eine kleine Gedenktafel. Das Original wurde in den 80ern angebracht und erinnert in Hebräisch an die „Opfer der Vernichtung“. Schon in den 50er und 70ern Jahren wurden im Westteil des Bahnhofs Gedenktafeln angebracht, aber ein offizielles Gedenken setzte hier erst nach der Wende ein.
Auf dem Bahnsteig befinden sich Stahlgussplatten, auf denen das Datum, die Personenzahl der Gruppe und Zielorte von Deportationszügen aufgeführt sind. 186 Platten sind es, die die Grausamkeit auf so schlichte Weise verdeutlichen. Insgesamt 50.000 Juden und Jüdinnen wurden aus Berlin deportiert. Die ersten Deportationszüge fuhren von Grunewald aus im Oktober 1941 und bis in den März 1945 hinein erfolgten Transporte.
Die meisten Zielorte kenne ich aus dem Geschichtsunterricht. Auschwitz und Theresienstadt sind Namen, die immer wieder auftauchen. Auf einigen wenigen Platten steht als Zielort Raasiku/Jägala. Von diesem Lager habe ich vorher noch nie gehört und ich musste es googeln. Das Arbeitslager Jägala entstand in Estland 1942 unter deutscher Besatzung. Es war klein, aber berühmt-berüchtigt für Massenerschießungen nach der Selektion nach der Ankunft am Bahnhof Raasiku. Ein Denkmal in den Dünen von Kalevi-Liiva erinnert an diese Erschießungen von Juden und estnischen Roma durch estnische Polizisten. Im Lager herrschten furchtbare Arbeits- und Versorgungsbedingungen. 1942 wurde es geschlossen und die verbliebenen Gefangenen nach Tallinn gebracht.
Von den Bahngleisen aus führt eine Treppe hinab in den Tunnel, von dem aus Passagiere zu den aktiven Gleisen am Bahnhof Grunewald kommen. Hier an der Treppe informiert eine weitere Gedenktafel, dass dieses Mahnmal den deportierten Menschen gewidmet ist.
Erinnerungsarbeit der Deutschen Bahn
Das Denkmal entstand nach einem Entwurf der Architekten Nicolaus Hirsch, Wolfgang Lorch und Andrea Wandel. Die Bahn hatte im Zuge ihrer Auseinandersetzung mit ihrer Beteiligung an den Verbrechen des Nationalsozialismus Ende der 90er Jahre einen Wettbewerb ausgerufen. Vorher war durch die deutsche Teilung das Gedenken eher ideologisch geprägt und weder die Bundesbahn noch die Reichsbahn der DDR setzten sich umfassend mit den Verbrechen der Deutschen Reichsbahn auseinander.
Dabei steht für die Forschung ganz klar fest, dass die Verschleppung der Opfer nationalsozialistischer Verfolgung nie ohne die Infrastruktur der Bahn in diesem Ausmaß möglich gewesen wäre. Nicht nur, dass die Deutsche Reichsbahn Personenzüge und später Güterwaggons zur Verfügung stellte. Sie besaß die Dreistigkeit, für die „Beförderung“ in Gettos und Lager Rechnungen an die jüdischen Gemeinden auszustellen.
Wie notwendig das Erinnern und Gedenken ist, zeigt sich an dem Ansteigen antisemitischer Vorfälle. Jüngstes lokales Beispiel ist der Anschlag auf die Bücherbox am Bahnhof Grunewald im August. Sie steht dort seit 2012. Mit dem Namen „BücherboXX Gleis 17“ setzte sie den Schwerpunkt auf Bücher mit den Themen jüdisches Leben, Verfolgung, Deportation, Holocaust, Nationalsozialismus, Rassismus und Widerstand.
Die zerstörte Bücherbox dient zunächst erstmal als Symbol gegen den Antisemitismus und soll später mit Unterstützung des Bezirksamts und privaten Spenden ersetzt werden.
Das Mahnmal beeindruckte mich mit seiner Schlichtheit. Zugleich setzt diese Einfachheit aber auch darauf, dass die Besucher informiert sind, oder bereit, sich selbst zu informieren. Ich denke, dass dem Areal eine zusätzliche Informationstafel nicht schaden würde, zumal sie, etwas abseits von den Gleisen aufgestellt, den Aufbau des Mahnmals nicht stört.