In Berlin und ganz Deutschland sind zahlreiche Gedenkstätten und Mahnmale zu finden, die an das Grauen des Nationalsozialismus erinnern. Oft befinden sich diese an Stellen, an denen Hinrichtungen, oder Deportationen stattfanden. Deswegen empfinde ich die Stolpersteine als eine weitere wichtige Form des Erinnerns: Sie lassen sich überall entdecken, geben den Opfern ihre Namen zurück und erinnern daran, dass direkt vor der eigenen Haustür Menschen verfolgt wurden aufgrund ihrer Religion oder ihrer politischen oder persönlichen Einstellung.
Ein kleiner goldener Betonstein mit Name
Mehr als 10.000 Stolpersteine gibt es in Berlin. Die kleinen Steine sind in den Gehweg eingelassen und manchmal geht man achtlos über sie hinweg, weil die goldene Farbe schon verblichen oder man selbst in Eile ist.
Seit den 90er-Jahren werden sie vom Künstler Gunter Demnig und seinem Team verlegt. Die Oberfläche der würfelförmigen Betonsteine besteht aus einer Messingplatte, in der die Informationen der Opfer in Handarbeit eingraviert sind. Meist gibt der Stolperstein nur Auskunft über Namen, Geburtsdatum und Deportations- und Todesdatum. Auch Überlebende der nationalsozialistischen Verfolgung sind auf den Stolpersteinen zu finden, auch wenn sie in der Minderheit sind.
Wer darauf achtet, entdeckt nahezu in jeder Wohngegend Stolpersteine und in vielen Straßen Berlins. Schon allein bei einem kurzen Spaziergang um den Block entdecke ich zehn der Steine und komme ins Grübeln, wie das Verschwinden dieser Menschen nicht bemerkt oder ignoriert werden konnte. In den meisten Fällen befinden sie sich vor dem letzten frei gewählten Wohnort. Sie finden ihren Weg dahin durch Initiativen oder Nachkommen, die das Herstellen und Einsetzen des Steins bezahlen. Wer die Namen lesen will, braucht gute Augen oder muss sich bücken.
Kritik an den Stolpersteinen
Für den Künstler sind die Stolpersteine eine Verbeugung und ein kurzes Stolpern im Herzen, für andere sind sie geschmacklos.
In München beispielsweise gibt es nur Stolpersteine auf privaten Grundstücken, da die Stadt sie ablehnt. Die Jüdische Gemeinde Münchens möchte nicht, dass die Namen der jüdischen Opfer mit den Füßen getreten werden. Vorreiterin dieser Deutung der Stolpersteine als erneute Entwürdigung der Opfer ist Charlotte Knobloch. Es gibt aber auch zahlreiche jüdische Stimmen und Initiativen, die diese Art des Gedenkens befürworten. Die Jüdische Gemeinde Düsseldorf ehrte beispielsweise den Künstler Demnig mit der Josef-Neuberger-Medaille, die an nichtjüdische Persönlichkeiten verliehen wird, die sich um die Jüdische Gemeinde verdient gemacht haben.
120 Euro kostet eine Patenschaft für die Herstellung und Verlegung eines Stolpersteins und es gibt Stimmen, die von einem Geschäft anstatt angemessenem Gedenken sprechen. Andererseits stellt sich die Frage, ob dieser Preis nicht gerade so die Kosten für das Herstellen und Anbringen abdeckt …
Stolpersteine und vergessene Nachbarn aktiv entdecken
Die zunehmenden Zahlen gestohlener Stolpersteine wie in Sachsen-Anhalt verdeutlichen, wie wichtig das Gedenken und Erinnern ist. Schon auf einem kurzen Spaziergang mit der App „Stolpersteine“ entdecke ich viele Gedenksteine und Namen ehemaliger Bewohner des Kiezes.
Mit der App lassen sich alle Stolpersteine in der Nähe anzeigen. Die Informationen zu den einzelnen Steinen entsprechen dann aber auch nur den Inschriften. Ausführlichere Lebensgeschichten lieferten andere Apps, die aber nicht mehr aktualisiert werden. Wer aber mal wissen will, wie viele Gedenksteine sich in der direkten Umgebung finden, bekommt bei der „Stolpersteine“-App einen Überblick.
In Berlin gibt es zahlreiche Initiativen, die die Steine pflegen und regelmäßig Erinnerungsspaziergänge veranstalten. Vor allem am 9. November finden viele Veranstaltungen in Erinnerung an die Reichspogromnacht statt. Einen Überblick zu den Events in den jeweiligen Kiezen findet ihr auf der Seite Stolpersteine in Berlin.