Auf Entdeckungstour durch Berlin und die Welt
Eingangsbereich der Gedenkstätte Plötzensee: In einer Betonmauer öffnet sich ein vergittertes Stahltor zur Gedenkstätte hin.

Schlicht und eindringlich: die Gedenkstätte Plötzensee

Seit dem 19. Jahrhundert befand sich in Charlottenburg die Strafanstalt Plötzensee. Sie war für mehr als 1000 Gefangene angelegt. Zunächst Gefängnis für rechtmäßig verurteilte Straftäter wurde die Strafanstalt unter den Nationalsozialisten Ort für unrechtmäßige Hinrichtungen. Im Zeitraum von 1933 bis 1945 wurden hier mehr 2800 Gefangene unrechtmäßig durch das Fallbeil und den Galgen hingerichtet. Hier starben Mitglieder der Widerstandsorganisation Rote Kapelle und des Umsturzversuchs vom 20. Juli.

Wenig zu sehen, viel zu lernen

Die Umwandlung des Areals zur Gedenkstätte erfolgte in den 50er Jahren. Im Zentrum stand die Erschaffung einer Gedenkstätte zur stillen Erinnerung. Und das ist es hier auch, als wir den Ort besuchen. Wir sind mitten am Tag die einzigen Besucher. Das hat auch seinen Vorteil, denn die Gedenkstätte ist klein und besteht im Wesentlichen aus einem Vorplatz und zwei Räumen.

Weiß gekalkter Hinrichtungsraum mit Kranz an der Wand und Stahlträger mit Haken n der Decke.

Der eine Raum jagt mir durch die Schlichtheit einen Schauer über den Rücken. Der andere Raum ist ein Ausstellungsraum. Der ehemalige Hinrichtungsraum ist weiß gehalten. Auf dem Boden steht bei unserem Besuch ein Kranz. An der Decke befindet sich ein Stahlträger mit fünf Haken. Ursprünglich waren es acht Haken, sodass gleichzeitig acht Personen gehängt werden konnten. Zu den ersten Opfern, die hier erhängt wurden, zählten 1942 Mitglieder der Roten Kapelle. Wer mehr über die Rote Kapelle und ihre Spuren in Berlin erfahren will, dem empfehle ich den umfangreichen Artikel „Die rote Kapelle: Erinnerungsorte in Berlin“.

Der Ausstellungsraum informiert mit Fotos und vielen Texten über die Geschichte der Gedenkstätte Plötzensee. Tafeln schildern Prozesse, Hinrichtungsabläufe und die grausam gut organisierte Bürokratie. Zu dem dort schon begangenen Unrecht kamen in September 1943 noch die sogenannten „Blutnächte“ hinzu: Nachdem ein Bombenangriff dazu führte, dass Teile der Strafanstalt nicht mehr nutzbar waren und sogar vier Verurteilte fliehen konnten, sollte auf Anordnung von Curt Rothenberger, dem Staatssekretär im Reichsjustizministerium, in der Anstalt „Platz geschaffen werden“. Das führte zu 250 Hinrichtungen in den Nächten vom 7. bis zum 12. September.

Rothenberger wurde im Nürnberger Juristenprozess zu sieben Jahren Haft verurteilt, von denen er aber nur drei Jahre im Gefängnis war. Anschließend erhielt er die Pension eines Oberlandesgerichtspräsidenten und versuchte dann auch noch, die Pension eines Staatssekretärs einzuklagen, was aber abgelehnt wurde. Diese Fakten, was geschah mit den Henkern und den Juristen hinter den Urteilen, fehlen in der Ausstellung. Ebenso Anmerkungen, zur Wiedergutmachung bei Opfern und deren Familien.

Ein Touchscreen im Ausstellungsraum informiert über die Einzelschicksale. Fast die Hälfte der hingerichteten Personen stammte nicht aus Deutschland. Nicht alle waren Widerstandskämpfer oder Kriegsgefangene. In einer Liste lassen sich ihre Lebensgeschichten, soweit sie bekannt waren, nachlesen. Bei der Aufzählung der Nationen stolperte ich beispielsweise über Kamal Syed, der aus Afghanistan kam. Er wurde 1935 in Plötzensee hingerichtet, weil er einen afghanischen Gesandten in Berlin erschossen hatte. Das Totenbuch von Plötzensee führt 2883 Namen und gibt den Opfern, soweit es möglich war, ein Gesicht und eine Lebensgeschichte.

Drei graue Informationstafeln, die über den Aufbau und die Geschichte der Gedenkstätte Plötzensee informieren.

Der Pfad der Erinnerung

Am Eingang zur Gedenkstätte gab es einige Prospekte, die Informationen zum Aufbau geben und ein Faltblatt zum Pfad der Erinnerung. Der Pfad der Erinnerung ist ein Weg, der entlang der Erinnerungsorte an die Nazi-Diktatur in Charlottenburg-Nord verläuft. Wer nach dem Besuch der Gedenkstätte Zeit hat und Charlottenburg-Nord nicht in- und auswendig kennt, sollte sich auf diesen Spaziergang begeben.

Wir begaben uns von der Gedenkstätte aus auf den Pfad der Erinnerung und liefen durch Schrebergärten, entlang von Neben- und Hauptstraßen bis zur Kirche Maria Regina Martyrum.

Kleines gelbes Symbolschild für den Pfad der Erinnerung.

Im Bereich der Kleingartenkolonie kamen wir vielleicht ab und an vom rechten Weg ab, hatten dafür aber eine schöne Abwechslung mit den Gärten. Die beeindruckenden Gedenkorte entlang dieses Pfades sind vor allem die Kirchen. Aber auch die einzelnen Informationsstelen sind eine Pause wert. An ihnen erfuhr ich viel über die in diesem Bezirk während der Nazizeit angesiedelten Arbeitslager.

Graue Informationsstele mit Erklärungen zu einem Zwangsarbeiterlager.

Die Stelen informieren auch über die Namensgebung der anliegenden Straßen oder Brücken. Sie sind nach Opfern des Naziregimes benannt, die in Plötzensee inhaftiert waren und hingerichtet wurden.

Informationstele, die über den Namensgebung der umliegenden Straßen informiert.

Zu unserem Pech hatte die Evangelische Gedenkkirche am Heckerdamm zum Zeitpunkt unseres Besuches schon geschlossen. Außen befindet sich zwar eine Informationstafel, aber auch ein Blick ins Innere wäre vielleicht interessant gewesen. Der Beschreibung nach sind im Innenraum Zeichnungen zu sehen, die die Hinrichtungen von Plötzensee mit biblischen Szenen verbinden. Wer den Pfad ablaufen und die Kirchen auch von innen sehen will, achtet daher am besten auf die Öffnungszeiten. Die Evangelische Gedenkkirche beispielsweise ist nur werktags offen und üblicherweise nur von 10 bis 12 Uhr (am Donnerstag ist sie auch zwischen 16 und 18 Uhr offen).

Frontansichte der Gedenkkirche Maria Regina Martyrum.

Die Katholische Gedenkkirche Maria Regina Martyrum hatte hingegen offen und beeindruckte mich mit ihrem klotzigen Aussehen. Die Kirche entstand in den 60er Jahren als „Gedächtniskirche der deutschen Katholiken zu Ehren der Blutzeugen für Glaubens- und Gewissensfreiheit in den Jahren 1933-1945“. Die ganze Anlage hat durch ihre leere Wuchtigkeit eine deprimierende Symbolkraft.

Kreuzwegstationen von Otto Herbert Hajek.

Mich zieht aber vor allem die goldene Skulptur „Die apokalyptische Frau“ von Fritz Koenig an. Sie bricht mit der sonst vorhandenen Tristesse. An der Mauer thematisieren Skulpturen von Otto Herbert Hajek die Kreuzwegstationen. Wer sich für Architektur und christliche Kunst begeistert, plant am besten hier einen Stopp ein und schaut sich auch das schlichte Innere der Kirche an. Das am Eingang ausgerechnet ein Zitat Pius XII. zum Gedenken an die Opfer aufruft, ist wahrscheinlich nur für Historiker etwas kontrovers. Hat er sich doch zunächst vor allem dem Nazi-Regime gegenüber eher vorsichtig-diplomatisch verhalten, bevor er erst in den 40er Jahren klar Stellung bezog.

Für die gesamte Strecke ist eine Laufzeit von 50 Minuten angegeben. Wer sich die einzelnen Stationen mit Stelen oder Kirchen anschaut, braucht entsprechend länger.

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