Auf Entdeckungstour durch Berlin und die Welt
Blick auf den Gedenkstein in der Mollstraße.

Gedenken an einen Schauprozess in der Mollstraße

Mitten im Wohngebiet zwischen Wohnhäusern und Spielplatz steht in der Mollstraße 11 eine Gedenktafel. Unauffällig und schlicht ist sie mir nur aufgefallen, weil ich die hebräischen Zeichen sah. Der Gedenkstein ist kein übergroßer Stolperstein, sondern erinnert an ein Unrecht, das in Berlin vor mehr als 500 Jahren stattfand.

Der Berliner Hostienschänderprozess


Der Stein hat zwei Texte: Eine hebräische Inschrift, die ich nicht ohne Hilfe verstehen konnte und eine deutsche kurze Erläuterung, dass dieser Gedenkstein an die Berliner Judenverbrennung von 1510 erinnere. Das Denkmal bezieht sich auf den Berliner Hostienschänderprozess. Davon habe ich noch nie gehört. Dabei war dieser Vorfall Anlass dafür, dass in Brandenburg Juden nicht mehr geduldet wurden und die Gegend zu verlassen hatten. Der Schauprozess und die öffentlichen Hinrichtungen gelten als erste nachgewiesene Judenverfolgung in der Mark Brandenburg unter den Hohenzollern.

Alles begann damit, dass ein Kesselflicker aus einer Kirche Hostien und eine Monstranz stahl. In einer Monstranz werden die Hostien aufbewahrt. Als der Dieb gefasst wurde, gestand er unter Folter, dass er die Hostien an einen Juden verkauft hätte. Wie zu der Zeit üblich entstand daraus die Verdächtigung, dass der bezichtigte Jude eine Hostienschändung begangen hätte. Letztendlich wurden dann hundert Juden aus Berlin und dem Umland verhaftet und wegen Hostienfrevel und Kindsmord angeklagt. Beweise gegen die Angeklagten außer den Behauptungen hatte es nicht gegeben. Was eben dabei rauskommt, wenn Leute gefoltert und ihnen Aussagen in den Mund gelegt werden.

51 Juden wurden letztendlich angeklagt und 41 zum Tode verurteilt. Durch Verbrennen hingerichtet wurden 38. Zwei Festgenommene, die sich taufen ließen, wurden enthauptet. Ein Jude wurde begnadigt und von den restlichen Angeklagten wird vermutet, dass sie durch die Folter oder Suizid starben.
Dass Juden infolge dieses Schauprozesses die Mark zu verlassen hatten, war durchaus von Vorteil für manch Einheimische, die so ihre Schulden nicht mehr bezahlen mussten. Bis 1532 war es Juden nicht mehr erlaubt, sich in der Mark Brandenburg anzusiedeln oder auf Märkten zu handeln. Noch länger hielt sich das antisemitische Stereotyp von hostienschändenden Juden.

Die Inschriften der Gedenktafel

Die Schauplätze, das „Gericht“ des sogenannten Hostienschändungsprozesses und die Hinrichtungsstätte lagen in der Nähe des Mahnmals. 1939 beschloss der Rabbiner Martin Salomonski, eine Gedenktafel an der Synagoge eines Altenheims anzubringen, das nicht weit entfernt vom heutigen Standort des Gedenksteins in der Berolinastraße stand.


Vom Altenheim sind keine Spuren mehr vorhanden. In den 40er Jahren des 20. Jahrhunderts nutzten die Nationalsozialisten das Gebäude als Sammellager für die Deportationen. Während des Krieges wurde das Haus so stark zerstört, dass es in den 60er Jahren abgerissen wurde. Die Gedenktafel aber hatte den Krieg und die nationalsozialistische Herrschaft überstanden. Sie wurde an die Jüdische Gemeinde übergeben.

Blick auf den hebräischen Teil des Gedenksteins.


Die hebräische Inschrift, bedeutet so viel wie: „Hier ruhen die heiligen Gebeine der Mitglieder unserer ersten Gemeinde in Berlin. Sie wurden als Märtyrer ermordet und verbrannt am 12. Aw 5270. Diese Gedenktafel wurde von Meir, dem Sohn von Abraham Salomonski im Jahr 1935 angebracht.“


Auf der unteren Schrifttafel steht die kurze deutsche Erläuterung, woran dieser Gedenkstein erinnert. Die ursprüngliche in den 80er Jahren am aufgestellten Stein angebrachte bronzene Tafel verschwand in den letzten Jahren, sodass sie von der Mollgenossenschaft ersetzt wurde.

Deutschsprachige Tafel am Gedenkstein.


Allerdings steht dort, dass die Gebeine der Opfer hier bestattet und es Berliner Juden gewesen seien. Beides ist falsch: Zum einen waren die Opfer nicht nur Berliner Juden, sondern auch aus anderen Gemeinden der Umgebung. Zum anderen gab es keine Begräbnisstätte an diesem Ort. Eine Vermutung ist, dass die Opfer als verurteilte Straftäter auf einem Schindanger vergraben wurden.


Mehr Details zu dem Hostienschänderprozess als dieser Gedenkstein vermittelt eine Historische Informationstafel, die 2021 in der Nähe der Marienkirche an der Karl-Liebknecht-Straße aufgestellt wurde.
Auch wenn die Lage der Überreste der Verbrannten nicht überliefert ist, zeigt sich, dass dieser Gedenkstein und das damalige Geschehen nicht vergessen sind. Denn wer näher herantritt, entdeckt Steine, die nach jüdischer Tradition auf Grabsteinen abgelegt werden. Jedes Jahr findet auch eine kleine Zeremonie mit Kranzniederlegung statt.

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